„Als Ruth zu leuchten beginnt“, ist eine Kindergeschichte über das Walmädchen Ruth das eines Tages zu leuten beginnt. Geschrieben und illustriert von Magdalena Wolf.
Leseprobe: Tief unten, dort, wo das Meer sein leuchtendes Blau gegen dunkles Schwarzblau tauscht, wo das Licht nur noch spärlich hingelangt, dort lebt Ruth mit ihrer Walfamilie. Ruths Familie besteht aus fünf großen, schweren Walmamas und ihren Kälbern Kurt, Irma, Amalie und Egon.
Ruths Tage bestehen aus fressen, tauchen und spielen. Am liebsten spielt sie mit ihren Walfreunden „in den Ozean krachen“. Das Spiel startet mit einem Wettschwimmen. Ruths Walfreunde Kurt, Irma, Amalie und Egon bringen sich in Startposition. Egon stößt einen hohen lauten Ton aus und los geht es. Die Walkälber schwimmen so schnell sie können auf die Sonne zu. Der erste, der die Wasseroberfläche durchbricht und sich mit einem lauten, krachenden Aufplatschen in den Ozean fallen lässt, hat gewonnen. Es ist ein herrliches Walleben findet Ruth. Ihre Freunde finden das auch.
Egon hat es als erstes gesehen.
„Ruth, schau mal, deine Schwanzflosse leuchtet ganz gelb“, sagt er erstaunt. Ruth schaut an sich hinunter. „Stimmt. Das wird schon wieder weg gehen“, antwortet sie gelassen.
Das gelbe Leuchten geht nicht wieder weg. Im Gegenteil. Das gelbe Leuchten breitet sich auf Ruths Walkörper aus. Die Rückenflosse beginnt zu leuchten, einen Tag später die kleinen Schwimmflossen. Noch einen Tag später leuchtet Ruths Rücken und schließlich leuchtet ihr ganzer Körper. Sie leuchtet hell wie die Sonne. Keiner in der Walfamilie kann mehr schlafen, außer Ruth.
Die Walfamilie wird immer übernächtigter, übellauniger und motziger. Irma motzt Egon an, Egon motzt seine Walmama an, Egons Walmama motzt Amalie an und Amalie motzt Kurt an. Alle motzten sich gegenseitig an. Nur Ruth motzt keiner an. Die ganze Walfamilie hat ein wenig Angst vor Ruths Leuchten.
„Jetzt reicht’s!“, ruft Kurts Walmama eines Nachts, „so kann das nicht weitergehen. Ruth schläft seelenruhig und alle anderen sind wach! Ruth!“
„Mh“, murmelt Ruth und öffnet verschlafen ein Auge.
„Du musst woanders schlafen!“, meckert Kurts Walmama.
„Warum?“, fragt Ruth.
„Du leuchtest so hell wie die Sonne, nur im Wasser, keiner kann mehr schlafen“, fährt Kurts Walmama übel gelaunt fort.
„Ja, ja ich weiß“, motzt jetzt auch Ruth und fragt knurrig: „Weisst du vielleicht, wie ich das abstellen kann? Ich will es ja gar nicht haben, das blöde Leuchten.“
„Woher soll ich das wissen? Für heute Nacht schläfst du erstmal da hinten und morgen sehen wir weiter“, schimpft Kurts Walmama und deutet mit ihrer Flosse in die Dunkelheit. Ruth schwimmt nach „da hinten“, was ungefähr 2 km weit von ihrer Familie weg ist.
Die Walfamilie schläft seit langem wieder einmal ohne Probleme. Nur Ruth kann diesmal nicht schlafen. Sie ist noch nie so weit von ihrer Familie weg gewesen. Sie schließt die Augen, zählt bis zehn, dreht sich auf den Rücken, taucht ein wenig umher. Ruth wird einfach nicht müde.
„Ich werde bis zum Grund des Meeres und wieder zurück tauchen, vielleicht kommt dann die Müdigkeit“, denkt Ruth und taucht gemächlich nach unten.